Die ersten Stunden richtig viel Wind und dann kam alles ganz anders…

16.09.2022

Die Nacht war unruhig. Viele Dinge gingen mir durch den Kopf. Hatte ich für die Regatta an alles gedacht? Wo waren die 2 Wochen gemeinsamer Urlaub geblieben – so schnell waren sie vorbei und Matthias würde heute schon mit dem Zug heimfahren. Die Pizza gestern abend als Abschiedsessen war richtig gut, hoffentlich liegt sie mir heute nicht zu schwer im Magen.

Um 6:30 Uhr war die Nacht dann zu Ende und der Tag begann. Bad, Segelklamotten an (für die Regatta habe ich 3 Lagen – Zwiebelmodell), alles Zusammenräumen und dann zu einem letzten gemeinsamen Frühstück. Richtig Ruhe hatte ich nicht, wir beeilten uns mit dem Frühstück, was eigentlich angesichts des tollen Buffets eine Sünde ist, und dann checkten wir schnell aus. Um kurz nach 8 Uhr verabschiedete ich Matthias am Bahnhof. Ich hatte ihm soviel Gepäck wie möglich mitgegeben, damit ich so wenig unnötiges Gewicht mit mir rumfahre. Der Arme musste mit zwei riesigen Taschen auf den Zug. Dann ging es ab in den Hafen und die enjoy4 wurde in kürzester Zeit fertig gemacht.

Ich entschied mich für Fock und 2. Reff. Wir hatten am Anfang mit 25 Knoten und mehr Wind zu rechnen. Das Gute war jedoch, dass wir mit raumen und halben Winden fahren konnten.

Um 9:15 Uhr schmiss ich die Leinen Los und fuhr aus dem Hafen, um dann meinen Motor, Festmacher und Fender für lange Zeit erstmal zu verstauen und das Gross ging hoch.

Nur mit Gross fuhr ich Richtung Startlinie. Im Svendborg Sund war ganz schön Wind. Ich sah, dass einige Segler ganz schön zu kämpfen hatten. Viele fuhren wie ich erstmal ohne Vorsegel und gerefft. Die Zeit bis zum Start verflog schnell. Kurz bevor es losging rollte ich die Fock raus, setzte das Fockfall fest durch und schob die enjoy langsam Richtung Startlinie. Die Profis schienen alle auf der linken Seite starten zu wollen, also fuhr ich Mitte rechts und hatte viel Platz. Noch einmal kurz ein wenig in den Wind drehen und die Segel aufmachen, dann waren es noch 10 Sekunden bis zum Start, ich viel ab, stellte die Segel richtig ein und wir fuhren keine 5 Sekunden nach dem Startsignal (um Punkt 10:00 Uhr) mit freiem Wind über die Linie. Also schonmal ein guter Start. Jetzt schnell los und mit Volldampf Richtung Grosse-Belt-Brücke bevor der Wind dreht.

Um 11:00 Uhr hatten wir uns schon zwischen Tåsinge und Thurø durchgeschlängelt und ich konnte nun mit viel mehr Platz und freiem Wind zwischen Langeland und Fünen ca 35 Grad anlegen und Richtung Grosse-Belt-Brücke düsen. Es war Wahnsinn. Der Wind schob die kleine Sailart vor sich her und die enjoy4 schien vor dem Wind davon zu düsen. Das GPS zeigte immer mal wieder über 9 Knoten Speed over Ground an. Wir surften die Wellen runter, und das Ruder schien vor Freude zu Brummen. Solche Geschwindigkeiten ohne Genauer und mit 2. Reff im Gross, und dabei ein gutes Gefühl.

Wir kamen besser voran als erhofft. Der Wind hielt die Richtung und wir mussten nicht kreuzen, sondern waren schon um 14:00 Uhr durch die Grosse-Belt Brücke, eine Stunde früher als in 2021.

Doch nach der Brücke änderte sich der Wind in Stärke und Richtung. Er wurde sehr unstetig. Mal gar nix, mal zu viel. Dazu kam Strömung gegen an. Schon bald musste ich kreuzen (wie erwartet) und ich hatte Wendewinkel über Grund von ca. 120 Grad, obwohl ich ca. 90 Grad gesegelt bin. Und der zeitliche Vorsprung vor letztem Jahr schmolz so dahin…

Um 19:20 Uhr konnte ich endlich die Insel Romsø passieren. Und gegen 20:00 Uhr ging dann langsam das Licht aus und es dann in die Nacht.

Hier mal ein Ausschnitt aus meinem Track, wo man die Situation gut nachvollziehen kann.

Und hier noch ein paar schöne Bilder mit Sonnenuntergangsstimmung.

Erst gegen 23:30 Uhr habe ich es an der Tonne WP196 vorbei und um den Nordostzipfel von Fünen geschafft. Und dann konnte ich auch nicht einfach Richtung Westen fahren. Der Wind hatte wieder zugelegt auf bis zu 20 Knoten in Böen und so gedreht, dass ich weiter kreuzen musste. Mit 2. Reff kämpfte ich mich durch die Nacht.

Und dann um kurz vor 2:00 Uhr merkte ich es. Mein Ruder wurde immer schwammiger. Was war da los? ich konnte erstmal nichts erkennen. Doch ich merke, dass es immer schlimmer wurde und schnell erkannte ich es dann doch. Die Ruderaufhängung hatte sich gelöst und ich war zwischenzeitlich manövrierunfähig. Nach all den Stunden und der harten Segelei nun das schnelle Ende. Ich holte das Gross runter und rollte die Fock ein. Panik wollte sich in mir breit machen. Doch ich rief mich zur Ruhe auf. Ich rief das Silverrudder Team per Handy an und teilte Ihnen mit dass ich manövrierunfähig bin. Wir machten aus, dass ich den Anker werfe und mich dann wieder melde. Also liess ich mich vom auflandigen Wind Richtung Land treiben. Als das Lot nur noch ca. 7 Meter Wasser unter dem Boot anzeigte ging ich auf das Vorschiff und schmiss den Anker. Ich hatte keine Zeit für mehrere Versuche, er musste einfach halten. Ich nutzte die komplette Leine, hatte sich doch zwischenzeitlich ganz schön Welle aufgebaut. Dann ging ich zurück ins Cockpit und stellte meinen Ankeralarm an. „Hoffentlich hält der Anker und das Boot bleibt auf der Stelle….“

Zwischenzeitlich regnete es und ich fror so vor mich hin. Aber die gute Nachricht war, der Anker hielt. Wieder telefonierte ich mit der Crew vom Silverrudder. Sie hatten sich mit der SAR abgestimmt: „Samstag morgen mit dem Sonnenaufgang wird eine Crew aus Bregnør losfahren und mich in einen sicheren Hafen schleppen“. Also hatte ich noch einige Stunden zu warten. Ich wurde von der Achterbahnfahrt ohne Fortbewegung ein wenig Seekrank, zitterte die Zeit weg, fing an das Schiff aufzuräumen und machte mir Gedanken, was ich für die Bergung vorbereiten kann. Also baute ich die Fock ganz ab und nahm die Gennaker-Leinen weg damit das Vorschiff frei ist. Ich legte meine 30 Meter Leine parat und dann wartete ich wieder. Mal regnete es, mal hörte es auf, aber immer fror ich. Habe ich schon gesagt, dass mir kalt war? Das folgende Bild zeigt meine Ankerposition.

Um 6:30 Uhr telefonierte ich nochmal mit der Silverrudder Crew. Das Schiff würde bald losfahren und kurz vor 8:00 Uhr bei mir sein. Und dann, gegen 7:40 Uhr sah ich ein hochmotorisiertes Schlauchboot auf mich zufahren. Tatsächlich musste ich in dem Moment weinen, all der Stress, die Angst und Unsicherheit der letzten Stunden überwältigten mich und ich liess meinen Emotionen freien Lauf und das tat gut. Doch viel Zeit hatte ich nicht, schon 10 Minuten später waren sie bei mir und übergaben mir eine Schleppleine, die ich an meinem Bug befestigte. Dann holte ich den Anker hoch und ginge zurück ins Schiff. Das Motorboot beschleunigte die kleine enjoy4 auf 7,5 Knoten und ich surfte einen wilden Ritt wie ein Gummientlein hinter dem Boot her. Das war schon ein wenig Scary. Ich setzte mich auf meinen Cockpitboden und hilt mich verkrampft an beiden Seiten an den Ausreitgurten fest. Selbst das Achterauswerfen meiner 30 Meter Schleppleine machte es nicht viel besser. Um 9:35 Uhr konnte ich wieder festes Land im Hafen von Bregnør betreten und das Boot festmachen.

Es gab ein richtiges Empfangskommitee; wahrscheinlich werden hier nicht so oft kleine Segelboote rein geschleppt. Man bot mir einen Sitzplatz an, hatte Kaffee parat und süßes Gebäck. Alle waren freundlich und wollten, dass für mich alles Bestens ist. Wieder überkamen mich die Emotionen. ich war einfach nur dankbar, dass es Leute gibt, die darauf warten, dass Andere Hilfe brauchen und dann selbst im Zweifelsfall großes Risiko eingehen, um Anderen zu helfen. Ich konnte eine Spende an die Search and Rescue Dänemark machen. Das war das Mindeste, denn eine Rechnung wollten sie keine Schreiben.

Auch möchte ich nochmal großen Dank aussprechen an die Shore Crew des Silverrudder Teams, die immer erreichbar sind wenn man Hilfe braucht und Dich professionell und emphatisch unterstützen.

Dann überkam mich die Müdigkeit und ich legte mich in meine Koje und schlief erstmal eine Runde…

Seemeilen Tag:81,4
Seemeilen Gesamt:177,5

2 thoughts on “Die ersten Stunden richtig viel Wind und dann kam alles ganz anders…

  1. Wow. Was ein Abenteuer!!
    Vielen Dank, dass du uns daran so authentisch teilhaben lässt.
    Zum Glück ist dir nix passiert. Und das hat nicht nur was mit Glück zu tun, sondern du hast denke ich alles richtig gemacht. Bravo!
    Ich hoffe die enjoy4 ist bald schon wieder fit und munter!

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